L wie …

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abc-Etüden: Mit dem Känguru auf Weltreise

Auf einen Sprung …

Noch eine Geschichte für die März abc-Etüden mit den Wortvorgaben von Puzzleblume

Abendbrot
heimatlos
auszeichnen

—***—

„Warum ist zeichnen und malen nicht dasselbe?“ fragte das Kind während es auf dem Papier herumkritzelte. „Warum kann ich das Bild nur ausmalen, aber nicht auszeichnen?“

Die Mutter schaute dem Kind über die Schulter. „Na ja, weil man sich nicht mit jedem Bild, das man malt auszeichnet“. Sie legte dem Mädchen die Hand auf die Schulter und zwinkerte vergnügt.

„Abendbrot ist gleich fertig. Räum doch bitte diese hübsche Osterhasenzeichnung jetzt weg, damit ich aufdecken kann.“

„Das ist ein Känguru!“ rief das Kind empört. „Das sieht man doch …“

Es legte den Kopf schief, kniff ein Auge zusammen und betrachtete das Werk nachdenklich.

„Das sieht man doch auf den ersten Blick!“ bestätigte sie dann noch einmal, zufrieden und selbstbewusst.

„Natürlich mein Schatz. Weißt du, es ist wirklich komisch. Ausmalen kann man Bilder. Sich etwas ausmalen passiert aber nur in der Fantasie, wenn man sich etwas genauer vorstellt. Und sich auszeichnen ist dann wieder etwas ganz Reales. Entweder positiv, wenn man eine tolle Leistung erbracht hat, oder negativ, wenn man sich blamiert hat. Eigentlich wirklich interessant. Wir sollten einmal im etymologischen Lexikon nachschauen, woher die Worte malen und zeichnen kommen …“

Die Mutter schaute tatendurstig zur Tochter. Die aber verschwand gerade im Wohnzimmer, noch immer ihr „Känguru“ bewundernd und hörte schon längst nicht mehr zu.

„Ja, wenn ich nicht hier wäre, würde es auch keinem auffallen.“ seufzte die Mutter und packte die Stifte weg, welche die Tochter am Tisch liegen gelassen hatte.

„Solange hier irgendwer kocht, putzt und hinter allen wegräumt, könnte ich auch heimatlos durch die Welt ziehen und …“ Sie verstummte und schaute verträumt aus dem Fenster: „Ich könnte mir fremde Länder ansehen und Spaß haben und Abenteuer erleben …“

Dann lachte sie kurz auf und wischte die Brösel ihrer Sehnsüchte schwungvoll vom Tisch.

Antworten auf „abc-Etüden: Mit dem Känguru auf Weltreise”.

  1. Christiane

    Schön, die Zeit für die Erfüllung ihrer ureigensten Sehnsüchte wird hoffentlich wiederkommen, aber erst mal wirkt sie ein bisschen resigniert, die Mama, und auf das Wesentlichste reduziert. Das ist manchmal ganz toll – aber auf die Dauer eher nicht. Ach je.
    Danke dir für die Etüde!
    Nachmittagskaffeegrüße 😉

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  2. Werner Kastens

    Die Mutter bemüht sich nach ihrem Verständnis, das Kind hört gar nicht richtig zu. Irgendwie ist die Bindung wohl verloren gegangen.

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    1. m.mama

      Das oder die Mama plappert einfach viel vor sich hin und da hieß es schon in einem berührenden Lied („Großvater“) von STS (steirische Band, weiß nicht ob man die sonstwo kennt) über die Liebe und das Zuhören: „„I hab‘ sie gern,
      I muss net alles, was sie sagt, immer hör’n!“ 😉

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  3. Cynthia alias Rübenigel

    Irgendwie habe ich mit beiden Mitgefühl. Und ich habe X tolle Ideen, was die Tochter später mal ihrem Therapeuten erzählen könnte. *lach* – Wir hatten, als unser Sohn klein war, eine virtuelle Therapeutenkasse. Wenn eine/r von uns solche Entgleisungen bemerkte, dann haben wir immer gelacht und uns erinnert: „Das kostet wieder einen Fünfer. Den wird er brauchen!“

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  4. Grinsekatz

    Feines Wortspiel – ausmalen und auszeichnen. Kinder haben im günstigsten Fall die Autonomie einer Katze, verbunden mit der Liebe zu ihren Nächsten plus unbändige Neugier auf alles um sie herum. Der Mutter Sehnsüchte stehen für sich allein, kann ja noch werden.

    Fein geschrieben!
    Liebe Grüße, Reiner

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  5. fundevogelnest

    Ich bekam auch mal ein Bild geschenkt und sagte „Oh , wie süß ein Eichhörnchen“ und bekam strafend „Ist ein Känguru“ zur Antwort😊
    Danke fürs erinnern.

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    1. m.mama

      Ist vermutlich nur eine Frage der geografischen Verankerung, nicht der künstlerischen Leistung. Auf dem entsprechenden Kontinent würde jeder sofort an Kängurus denken. Mensch kann ja nunmal aber wirklich nichts dafür, wo er „hingeworfen“ wurde – also braucht man kein schlechtes Gewissen haben, wenn man das Werk einfach „anders sieht“ als der Künstler 😉

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