Noch eine Geschichte für die März abc-Etüden mit den Wortvorgaben von Puzzleblume
Abendbrot
heimatlos
auszeichnen
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„Warum ist zeichnen und malen nicht dasselbe?“ fragte das Kind während es auf dem Papier herumkritzelte. „Warum kann ich das Bild nur ausmalen, aber nicht auszeichnen?“
Die Mutter schaute dem Kind über die Schulter. „Na ja, weil man sich nicht mit jedem Bild, das man malt auszeichnet“. Sie legte dem Mädchen die Hand auf die Schulter und zwinkerte vergnügt.
„Abendbrot ist gleich fertig. Räum doch bitte diese hübsche Osterhasenzeichnung jetzt weg, damit ich aufdecken kann.“
„Das ist ein Känguru!“ rief das Kind empört. „Das sieht man doch …“
Es legte den Kopf schief, kniff ein Auge zusammen und betrachtete das Werk nachdenklich.
„Das sieht man doch auf den ersten Blick!“ bestätigte sie dann noch einmal, zufrieden und selbstbewusst.
„Natürlich mein Schatz. Weißt du, es ist wirklich komisch. Ausmalen kann man Bilder. Sich etwas ausmalen passiert aber nur in der Fantasie, wenn man sich etwas genauer vorstellt. Und sich auszeichnen ist dann wieder etwas ganz Reales. Entweder positiv, wenn man eine tolle Leistung erbracht hat, oder negativ, wenn man sich blamiert hat. Eigentlich wirklich interessant. Wir sollten einmal im etymologischen Lexikon nachschauen, woher die Worte malen und zeichnen kommen …“
Die Mutter schaute tatendurstig zur Tochter. Die aber verschwand gerade im Wohnzimmer, noch immer ihr „Känguru“ bewundernd und hörte schon längst nicht mehr zu.
„Ja, wenn ich nicht hier wäre, würde es auch keinem auffallen.“ seufzte die Mutter und packte die Stifte weg, welche die Tochter am Tisch liegen gelassen hatte.
„Solange hier irgendwer kocht, putzt und hinter allen wegräumt, könnte ich auch heimatlos durch die Welt ziehen und …“ Sie verstummte und schaute verträumt aus dem Fenster: „Ich könnte mir fremde Länder ansehen und Spaß haben und Abenteuer erleben …“
Dann lachte sie kurz auf und wischte die Brösel ihrer Sehnsüchte schwungvoll vom Tisch.
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