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Vom Sinn der Langsamkeit

Schnecken sind langsam – aus unserer Sicht. Aber langsam heißt nicht schlecht

Ein Beitrag zu Myriades Impulswerkstatt , Bild Nr. 4 – Schnecke (3 Minuten Lesezeit):

—***—

Es war so einer von diesen Tagen, die nicht ganz rund liefen.

Erst die Baustellen auf dem Weg zur Schule. Wenn es wärmer wird rücken sie aus: Die Straßenerneuerungstrupps mit ihren Baumaschinen und ihren Winkerkellen. Als Kind hätte ich so ein Ding gerne gehabt, die anderen damit ausgebremst, zum Stehen gezwungen oder lässig durchgewunken. Jetzt bedeutet die rote Scheibe nur verlorene Minuten, verlorene Parkplatzmöglichkeiten.

Dann die Traktoren, die mangels Überholmöglichkeiten auf der gewundenen Straße zum Langsamfahren zwingen. Je geringer die Geschwindigkeit des Gezuckels, umso höher kochen die Emotionen.

Endlich der Supermarkt. Aus dem Augenwinkel nehme ich wahr, dass eine Frau knapp hinter mir steht. Warum geht sie nicht weiter? Oder nimmt sich aus dem Regal, was sie braucht? Ich versuche im Geiste einen Essensplan für die Woche zu erstellen. Vielleicht sehe ich einmal etwas anderes, was trotzdem allen schmeckt? Keine einfache Aufgabe.

„Darf ich vorbei!“ vernehme ich jetzt eine schnippische Stimme hinter mir. Erstaunt drehe ich mich um. Jemand hat seinen Einkaufswagen hinter mir geparkt und verstellt den Durchgang. Ich schiebe das Ding zur Seite und murmle: „Das ist nicht meiner …“

Meine Laune ist nahe dem Tiefpunkt angekommen. Da herrschen im Vergleich dazu in den Tiefkühltruhen noch hohe Temperaturen.

An der Kasse ist nur ein Mann vor mir. Sehr gut! Ein alter Mann. Er wirkt zittrig und etwas verloren. Weniger gut.

Die Kassierin hat bereits alle Waren über den Scanner gezogen und er hat noch nicht einmal seine Einkaufstasche auseinanderbekommen. Er nestelt an den Griffen herum.

„Oh Mann!“ stöhne ich innerlich, aber nach außen hin lächle ich gezwungen und frage – automatisch – ob ich vielleicht behilflich sein soll. Jetzt erstarrt er überhaupt. Na großartig, ich habe das Geschehen noch mehr gebremst! Sein Schneckentempo bringt mich noch um!

Da bemerke ich erst, dass er ganz leicht nickt. Ich nehme ihm also vorsichtig die Tasche vom Arm, öffne sie und schlichte den Einkauf. Schwere, eckige Dinge nach unten, Leichtes und Obst oben. Ich mache das immer systematisch. Er steht nur da und sieht mir zu. Möchte er denn nicht bezahlen?

Erst als ich die gepackte Tasche abstelle und mich wieder hinter ihn in die Schlange stelle, wendet er sich der Kassierin zu. Dann fängt er an, in seiner Geldbörse zu kramen. Natürlich bezahlt er in bar und natürlich ist er bemüht, die Cent ganz genau zusammenzufinden.

Eine gefühlte Ewigkeit später bin ich an der Reihe. Als ich aus dem Geschäft gehe, überhole ich den alten Mann. Ich war nach ihm dran und bin vor ihm draußen.

Ich bin schon fast beim Auto, da höre ich ihn schwach rufen: „Vielen Dank, junge Frau!“ Ich drehe mich überrascht um. Er lächelt mich an. Ich starre ein paar Augenblicke lang sprachlos zurück. Dann lächle auch ich: „Gerne!“

Er hat mich junge Frau genannt! Mein Tag ist gerettet.

Antworten auf „Vom Sinn der Langsamkeit”.

  1. puzzleblume

    Auch für Schnecken bremsen – sowas wird eben doch belohnt. 🙂

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  2. Myriade

    Eine Supermarktschnecke, die Gelegenheit für gegenseitige Freundlichkeit bietet
    Schön! Vielen Dank für den Text, junge Frau 😇😊

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    1. m.mama

      😘

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  3. Zwischenstand Impulswerkstatt – MYRIADE – La parole a été donnée à l´homme pour cacher sa pensée

    […] 29.M.mamas Sinn der Langsamkeit 12.5 . […]

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