L wie …

,

Die Bank

Rastbänke sind ein Segen, oder?

Eine Geschichte zu Bild Nr. 2 aus Myriades Impulswerkstatt;

—***—

Jeden Nachmittag saßen sie auf der Bank. Jeden Nachmittag bei schönem Wetter. Von 15 bis 18 Uhr, zwischen Kaffee und Kuchen und dem Abendessen.

Schweigend blickten sie auf das Dorf hinunter und beobachteten die Vorgänge. Nur wenn jemand vorbeikam wurden sie gesprächig. Bekannte wurden gegrüßt und die eine oder andere Floskel gewechselt. Er machte gerne Witze. Lustig waren sie nicht wirklich und schon gar nicht originell.

Kaum waren die Passanten vorüber zischte sie ihm zu: „Du mit deinen dummen Schmähs!“ Dann starrten beide wieder finster vor sich hin. Sehr viel hatte man sich nach über 40 Jahren Ehe nicht mehr zu sagen.

Man kennt sich und vor allem die Gewohnheiten des anderen. In Auge und Ohr stechen nur noch die Dinge, die stören. Das hörbare Lufteinziehen durch die Nase bevor er einen Satz beginnt, ihr viel zu lautes, gedehntes „Hatschiiiii“, wenn sie niesen muss – dreimal. Immer dreimal hintereinander!

Winzige Details werden im Geiste zu unerträglich großen Riesen, welche den Blick auf alles andere, das Liebenswerte am Partner verstellen.

Die wenigen kleinen Freuden, die sie noch miteinander teilen konnten, war das Herziehen über Fremde, die vorüberkamen. Da steckten sie gleich die Köpfe zusammen und lästerten gemeinschaftlich.

Touristen waren schließlich dazu da, den Wirt reich zu machen, aber vor allem um argwöhnisch beobachtet zu werden.

Wer hier nicht heimisch war, den mochte man prinzipiell erst einmal nicht. Heimisch wurde man allerdings erst in der zweiten Generation. „Zugereiste“ mussten ihr Leben lang beweisen, dass sie überhaupt würdig waren, in die Gemeinschaft aufgenommen zu werden.

Der Wanderweg, welcher an der Bank vorbeiführte war beliebt, die Gasthäuser des Ortes in der warmen Jahreszeit stets gut ausgebucht. Urlaub im Grünen, Wandern in der Natur – solche Slogans zogen die Städter aufs Land. Lange Autoschlangen von Erholungssüchtigen fielen Freitagnachmittag hier ein und wanden sich Sonntagabend wieder in die Ferne.

Neben den Ausflüglern, welche die Bank nur zweimal passierten – einmal beim Aufstieg auf den Hausberg und das zweite Mal auf dem Rückweg in eines der Gasthäuser am Kirchenplatz, kam seit ein paar Wochen nun schon fast täglich eine junge Frau mit einem kleinen Hund vorüber. Man nickte sich stumm zu und schon war sie hinter der nächsten Kehre verschwunden. Ihr alter Zwergpinscher lief gemächlich hinterher. Er legte gerne kleine Pausen ein beim Erkunden der Umgebung. So trabte er oft freundlich heran und beschnupperte die Schuhe des Pärchens.

Tiere mochten sie noch weniger als Fremde. „Drecksvieh!“ murmelten beide stets unisono, kaum dass sie wieder für sich waren.

Einmal hielt sich der Hund besonders lange rund um die Bank der beiden auf. Wie versteinert saßen die Alten da. Nur aus ihren Augen schienen gifte Blitze zu schießen. Die Frau bemerkte das Trödeln ihres Begleiters und kam zurück. „Pinocchio!“ lockte sie und lächelte das Pärchen an. Das starrte unfreundlich und wortlos zurück.

„Ein Holzkopf!“ rief er aus und schlug sich grinsend auf den Oberschenkel, kaum waren die Spaziergänger weitergegangen. „Pinocchio“ äffte sie jetzt die Hundebesitzerin nach. „Beide sind Holzköpfe!“ schrie sie schrill und beide lachten lauthals.

An diesem Abend kehrten die zwei Alten nicht nach Hause zurück.

Bei der Suche nach dem verschwundenen Ehepaar half das ganze Dorf mit, sogar die Zugereisten. Einem von ihnen fiel eine kleine, hübsche Holzskulptur etwas versteckt im Gebüsch hinter einer der Bänke entlang des Weges auf: „Oh, da war wohl der Dorfverschönerungsverein wieder aktiv“ dachte er bei sich und ging lächelnd weiter.

Antworten auf „Die Bank”.

  1. puzzleblume

    Ein modernes Märchen! Ob das tatsächlich so wirkt? Man sollte solchen Skulpturen mehr Beachtung schenken …

    Gefällt 1 Person

  2. Myriade

    Wunderbar ! Das geschieht ihnen ganz recht. Solche Paare, die nichts mehr gemeinsam haben als über andere herzuziehen gibt es ja tatsächlich, die Frage ist nur, wer ist für die Verwandlung zuständig, der Hund oder die Frau `? Jedenfalls eine negative Philemon und Baucis – Geschichte, wenn auch die Skulptur eigentlich hübscher ist als ein Sternbild irgendwo …

    Vielen Dank für die Holzskulptur-Geschichte !

    Gefällt 1 Person

  3. Cynthia alias Rübenigel

    Recht so!… freut sich die in mir, die es als ausgleichende Gerechtigkeit empfindet.

    Und der, die ein mitfühlendes Herz hat, ist ein wenig mulmig zumute. Welch eine furchtbare Strafe, nun bis in alle Ewigkeit, mindestens bis zur vollständigen Zersetzung der Skulputur vereint sein zu müssen, keinen Millimeter mehr voneinander weichen zu können. Auf alle Zeiten das Zischeln des Anderen im Ohr.

    Gefällt 1 Person

  4. Grinsekatz

    Das Denkmal haben sie sich verdient.

    Gefällt 1 Person

    1. m.mama

      *gg*

      Gefällt 1 Person

  5. Zwischenstand Impulswerkstatt – MYRIADE – La parole a été donnée à l´homme pour cacher sa pensée

    […] 27. M.mamas Bank 10.5 […]

    Like

Hinterlasse einen Kommentar